Kandidaten verlieren Vertrauen! Ist Social Media-Recruiting am Ende?

Es scheint, dass viele potenzielle Bewerber zunehmend frustriert sind von unqualifizierten und unpersönlichen Anfragen, die sie auf Social-Media-Plattformen erhalten. Was kann man dagegen tun?

Das Problem des Fachkräftemangels und die Herausforderungen im Recruiting


Das Problem des Fachkräftemangels spitzt sich aufgrund des demografischen Wandels in Deutschland weiter zu. Die geburtenstarken Jahrgänge, die auch Babyboomer genannt werden, gehen in den kommenden Jahren in Rente, und es rücken zu wenige junge Menschen nach. Hinzu kommt, dass die Digitalisierung und die ökologische Transformation einen Strukturwandel in den nachgefragten Kompetenzen bei Fachkräften eingeleitet haben. Im Jahr 2023 haben 45,9 Millionen Menschen in Deutschland gearbeitet, und trotz dieses Rekords fehlen branchenübergreifend fast überall Fachkräfte. 570.000 Stellen konnten im vergangenen Jahr nicht besetzt werden, was zu großen Wirtschaftsverlusten führt. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hat mithilfe des Global Economic Model von Oxford Economics berechnet, dass der deutschen Wirtschaft dadurch Produktionskapazitäten im Wert von 49 Milliarden Euro verloren gehen. Aufgrund des demografischen Wandels wird sich dies in den kommenden Jahren noch dramatisieren, und das Modell geht im Jahr 2027 bereits von 74 Milliarden Euro als potenziellem Verlust aus. Aber was können Unternehmen tun, um ihre offenen Stellen zu besetzen?


Social-Media-Recruiting veränderte die Personalberatungsbranche

In den letzten Jahren hat sich das Thema Social-Media-Recruiting zum festen Bestandteil des Recruiting-Prozesses entwickelt. KI-gestützte und zielgruppenorientierte Anzeigenschaltung in den Sozialen Netzwerken soll nicht mehr nur zu den passenden Bewerbern führen, sondern auch den Aufbau einer Arbeitgebermarke sukzessive unterstützen.

Die Einführung der Karrierenetzwerke XING und LinkedIn hat die Bewerbersuche bereits vor vielen Jahren revolutioniert, denn die Unternehmen waren plötzlich nicht mehr auf den Eingang von Bewerbungen oder die Kandidatenvorstellungen von Personalberatern angewiesen, sondern konnten auch direkt mit ihren Wunschkandidaten Kontakt aufnehmen. XING zählte im zweiten Quartal 2024 22,5 Millionen Mitglieder in der DACH-Region, und auch LinkedIn hat inzwischen 18 Millionen Mitglieder in Deutschland.

Diese Option, Kandidaten direkt zu kontaktieren, hat nicht nur das Inhouse-Recruiting der Unternehmen verändert, sondern auch den Personalberatermarkt entscheidend beeinflusst. Während es 2009 noch knapp 5000 Personalberater in Deutschland gab, sind bereits 2021 über 8000 am Markt gewesen. Der Zugang zu dem vorher so geheimnisvollen Beruf des Personalberaters wurde erleichtert, und mit einer entsprechenden Recruiter-Lizenz bei XING oder LinkedIn konnte nun nahezu jeder willkürlich mögliche Kandidaten kontaktieren, während davor vor allem der persönliche telefonische Kontakt entscheidend war, um Unternehmen bei der Besetzung von Positionen zu helfen.


Unqualifizierte Anfragen sorgen für eine sich etablierende Ablehnungshaltung

Dieser enorme Anstieg der Berater in Kombination mit vermehrten Inhouse-Active-Sourcing-Aktivitäten und dem sich immer mehr zuspitzenden Fachkräftemangel führte dazu, dass die Kandidaten inzwischen von Jobanfragen überflutet werden. Kandidaten berichten in persönlichen Gesprächen inzwischen von 10-20 Nachrichten pro Tag, die oftmals auch qualitativ sehr dürftig sind.

Quantität statt Qualität scheint für viele Akteure der Maßstab zu sein, denn wenn man nur genug Nachrichten versendet, wird schon der eine Kandidat dabei sein, der passen und Interesse haben könnte. Einer Assistentin der Geschäftsleitung den nächsten Schritt zur Geschäftsführerin anzubieten oder einem Hochschulabsolventen in Mathematik eine IT-Leitung anzubieten – in aktuellen Zeiten keine Einzelfälle.

Das Geschäftsmodell hat sich verändert, und man agiert nun eben über Masse, was bedeutet, dass der ein oder andere völlig falsche Kandidat eine dieser standardisierten Massennachrichten erhält. Kandidaten ziehen sich aus diesem Grund mehr und mehr aus den Netzwerken zurück oder nutzen diese nur noch für den fachlichen Austausch und die Vernetzung mit Kunden oder Kollegen. Kaum jemand hat noch Lust, aus den vielen schlechten und wenig durchdachten Anfragen die eine Nachricht herauszufiltern, die vielleicht wirklich einen spannenden nächsten Schritt versprechen könnte.


Kandidaten verlieren Vertrauen in die Personalberatungsbranche

Hinzu kommt die Problematik, dass viele Kandidaten kein Vertrauen mehr in die Personalberaterbranche haben. Viele vermeintlich professionelle Personalberatungen agieren mit Mandaten, die sie gar nicht haben, und hoffen so, Zutritt zu den Unternehmen zu erlangen.

Kandidaten können heutzutage kaum noch unterscheiden, wer wirklich einen Auftrag hat und wer vielleicht nur auf unseriöse Weise versucht, eine hohe Provision einzustreichen. Die Penetranz des Vorgehens und die gleichzeitig unprofessionelle Behandlung der Kandidaten schadet am Ende den Beratungen, die ihre Ansprache bis ins kleine Detail planen, Profile der Kandidaten studieren, um am Ende wirklich ein Perfect Match zwischen Unternehmen und Kandidaten zu finden.

Auch Inhouse-Recruiter spüren inzwischen die Konsequenzen und stoßen bei Kandidaten zunehmend auf eine Ablehnungshaltung. Es sind die sich immer wiederholenden Floskeln wie „eine spannende Vakanz“, „beim Weltmarktführer“, „tolle Unternehmenskultur“ oder „marktgerechtes Gehalt“, die den Kandidaten inzwischen die Nackenhaare aufstellen.


Der Umgang mit dem Menschen zählt

Wie schafft man es also, Kandidaten, die weder Vertrauen noch Lust auf (unseriöse) Kontakte haben, trotzdem davon zu überzeugen, dass die angebotene Vakanz vielleicht genau das Richtige sein könnte?

Wer heute noch über XING oder LinkedIn erfolgreich sein will, muss den Menschen in den Fokus stellen. Ein kurzer Blick auf das Profil oder die Überprüfung von Schlagworten reicht nicht mehr – man muss den Kandidaten das Gefühl geben, dass man sich wirklich mit ihnen beschäftigt hat. Verzichten Sie auf Floskeln, falsche Versprechungen oder nebulöse Angaben. Seien Sie transparent und vor allem ehrlich.

Das Wichtigste ist jedoch: Seien Sie immer respektvoll. Auch wenn es einmal nicht mit der aktuellen Vakanz passt oder klappen sollte, geben Sie Rückmeldung, erhalten Sie den Kontakt und behandeln Sie Kandidaten wie Menschen und nicht wie eine Handelsware. Nur so kann Active-Sourcing heute auch weiterhin ein gut funktionierender Bestandteil der Recruiting-Strategie bleiben.


Kernaussage

Social-Media-Recruiting steht an einem Wendepunkt. Der Fachkräftemangel verlangt innovative Ansätze, doch Masse statt Klasse hat das Vertrauen vieler Kandidaten erschüttert. Oberflächliche Anfragen und fehlende Professionalität schaden nicht nur der Personalberaterbranche, sondern auch der Effektivität von Active Sourcing.

Um langfristig erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen und Berater den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Ehrlichkeit, Transparenz und Respekt sind entscheidend, um Vertrauen zurückzugewinnen und nachhaltige Beziehungen aufzubauen. Nur so bleibt Social-Media-Recruiting ein wirksames Instrument im Wettbewerb um Fachkräfte.


Zu den Autorinnen

Bull Research Consulting
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