
Cornelius Scheier
Selbstführungskräfte für Führungskräfte
„Leadership“ oder das, was heute oft als „moderne Führung“ bezeichnet wird, ist zu einem allgegenwärtigen Schlagwort geworden. Mit „New Work“, werteorientierter und bedürfniszentrierter Unternehmensführung gibt es immer mehr Ansätze, die eine neue Art der Führung propagieren.
Doch was ist der gemeinsame Nenner all dieser Modelle?
Was ist der Kern gelungener Führung?
Wenn wir einen Blick auf wissenschaftliche Forschung und erprobte Praxismodelle wie z.B. das LP³-Leadership von David Fiorucci werfen, so sticht ein entscheidender Aspekt hervor: Selbstreflexion. Die Fähigkeit, sich selbst wahrzunehmen und seine Gedanken, Gefühle und Handlungen kritisch zu betrachten, ist grundlegend. Doch Reflexion allein reicht nicht. Führung verlangt nicht nur eine Veränderung der Sichtweise, sondern aktives Tun.
Seit vielen Jahren begleite ich Führungskräfte auf ihrem Weg zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung und lehre eine Führung, die auf Autonomie und Würde aufbaut. In dieser Zeit kristallisierten sich sechs essenzielle Faktoren erfolgreicher Selbstführung heraus, die ich die „6 Selbstführungskräfte“ nenne. Diese Säulen bilden das Fundament einer modernen, werteorientierten Führung.
1. Wahrnehmung
Moderne Führung erfordert die Fähigkeit, Auslöser und Reaktionen bewusst voneinander zu trennen. Dies bedeutet, Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu benennen. Entscheidender als je zuvor ist das Verständnis, dass Wahrnehmung nicht objektiv ist – sie ist ein Produkt des eigenen Standpunktes und Blickwinkels. Für eine erfolgreiche Führungskraft ist es zentral, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen und sich ihrer Subjektivität bewusst zu sein.
2. Empathie
Eine weitere Schlüsselfähigkeit moderner Führungskräfte ist Empathie – die Vermutung der Gefühlswelt anderer. Dies schließt das Verständnis ein, dass wir das Leiden anderer zwar wahrnehmen, aber nicht teilen müssen. Empathie statt Sympathie ist hier das Motto. Der wesentliche Unterschied: Empathie bedeutet, dass ich Gefühle anderer wahrnehme, ohne sie zwangsläufig zu übernehmen. Die moderne Führungskraft weiß, dass jede Wahrnehmung von Gefühlen zunächst eine Annahme ist, die durch Rücksprache bestätigt werden muss.
3. Kreativität
Kreativität ist nicht nur das berühmte „über den Tellerrand schauen“. Eine kreative Führungskraft hat eine positive Vorstellung davon, wie sie selbst sein möchte und welchen Beitrag sie leisten will. Kreativität bedeutet auch, sich neue Perspektiven zu erlauben und starre Regeln in Frage zu stellen. Diese Fähigkeit, gewohnte Wege zu verlassen und eigenständige Lösungen zu entwickeln, ist unerlässlich für eine dynamische Führung.
4. Impulskontrolle
Die Fähigkeit, Impulse zu steuern und Verantwortung für die eigenen Emotionen und Entscheidungen zu übernehmen, ist eine unverzichtbare Führungsqualität. Moderne Führungskräfte sind sich ihrer „Trigger“ bewusst und können entscheiden, ob sie diese nutzen oder umgehen. Impulskontrolle bedeutet, den Unterschied zwischen dem aktuellen und dem gewünschten Zustand emotional zu halten und daraus die Energie für Veränderung zu schöpfen.
5. Erfahrungen
Moderne Führungskräfte verstehen, dass Veränderung eine Reise und kein einmaliger Akt ist. Sie sind bereit, neue Erfahrungen zu machen und erkennen, dass dies oft mit innerem Widerstand einhergeht. Hierzu gehört auch, sich den nächsten Schritt in der eigenen Entwicklung bewusst vorzustellen. Die Fähigkeit, Handlungsmöglichkeiten zu erkennen und zu nutzen, um den eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden, ist hier entscheidend.
6. Mitgefühl
Eine erfolgreiche Führungskraft zeigt Mitgefühl – für sich selbst und für andere. Mitgefühl statt Mitleid ist hier der Fokus. Der Unterschied? Im Mitleid lasse ich mich mit ins Leid ziehen. Im Mitgefühl bin ich bereit das Leid zu sehen, doch reagiere mit Freude helfen zu wollen. Statt von „müssen“ und „sollen“ zu sprechen, nutzt sie daher lieber „wollen“ und „dürfen“. Diese positive Sprache drückt einen wesentlichen Grundsatz der modernen Führung aus: das Bewusstsein, dass jedes Handeln letztlich dem Streben nach Glück dient. Die Führungskraft trägt zu ihrem eigenen Wohl bei, weil sie es sich erlaubt, und trägt zum Glück anderer bei, weil sie es will und es ihr gut tut.
Die Rolle der Selbstführung in der modernen Führung
Die 6 Selbstführungskräfte bilden das Herzstück moderner Führung und basieren auf aktuellen Erkenntnissen der Neurobiologie, wie sie unter anderem von der Forscherin Lisa Feldman Barrett beschrieben wurden. Selbstführung bedeutet, das eigene biologische System zu erkennen, sich eine Veränderung vorzustellen und Erfahrungen zu schaffen, die zu dieser Veränderung führen. Selbstführungskräfte stärken die Fähigkeit, die eigenen Verhaltensweisen zu reflektieren und aktiv zu gestalten – eine unerlässliche Grundlage für wirksame Führung.
Mit diesen Fähigkeiten wird Führung nicht nur effektiver, sondern auch authentischer und nachhaltiger. Führungskräfte, die sich dieser Prinzipien bewusst sind und sie im täglichen Handeln anwenden, schaffen nicht nur ein besseres Arbeitsumfeld, sondern auch eine Organisationskultur, die Wachstum, Innovation und Resilienz fördert. In einer Welt, in der Veränderung die einzige Konstante ist, sind diese 6 Säulen der Selbstführung der Schlüssel zu einer erfolgreichen, modernen Führung.
Kernaussage
Moderne Führung basiert auf der Fähigkeit zur Selbstführung, die durch die 6 essenziellen Selbstführungskräfte definiert wird: Wahrnehmung, Empathie, Kreativität, Impulskontrolle, Erfahrungen und Mitgefühl. Diese Prinzipien ermöglichen Führungskräften, ihre Verhaltensweisen kritisch zu reflektieren, aktiv zu gestalten und auf eine werteorientierte, authentische Weise zu handeln.
Durch Selbstführung schaffen Führungskräfte nicht nur ein produktives Arbeitsumfeld, sondern fördern auch Innovation, Resilienz und eine positive Unternehmenskultur. Die Fähigkeit, das eigene Verhalten zu lenken und mit Empathie und Mitgefühl zu agieren, wird in einer dynamischen, sich ständig wandelnden Welt zur Grundlage für nachhaltigen Führungserfolg.
Die 6 Säulen der Selbstführung sind daher nicht nur ein Werkzeug, sondern ein Weg zu einer authentischen und effektiven Führung, die Wachstum und Stabilität gleichermaßen ermöglicht.