Aktuell rückt das Thema wieder in den Vordergrund, um eine Antwort auf den zunehmenden Führungskräftemangel bzw. die „Führungsmüdigkeit“ zu finden. Dieser Beitrag erläutert die Varianten von „Shared Leadership“ und die damit verbundenen Herausforderungen.
Renaissance eines bekannten Konzepts
Das Konzept der „Shared Leadership“ wird aktuell verstärkt diskutiert; dabei ist die Idee gar nicht neu: Bereits ab den 2010er-Jahren wird dieses Modell diskutiert, zunächst noch stark getrieben durch die Forderungen, mehr Frauen in Führungsverantwortung zu bringen oder Führung in Teilzeit zu ermöglichen. Heute gibt es ein weiteres, neues Argument: Die sich verstärkende Tendenz, immer weniger Menschen zu finden, die Führungskraft werden oder bleiben wollen.
Die stetig gewachsenen Ansprüche an Führung, die zunehmende Rollenvielfalt und damit die Komplexität der Führungsaufgabe lassen die „Lust auf Führung“ sinken. Die Zunahme von „hybrid work“, dauerhaft vakante Stellen, steigende Arbeitslast, die Integration verschiedener Arbeitnehmer-Generationen und die zunehmende Bürokratisierung verschärfen den Unwillen, Führungsverantwortung zu übernehmen, insbesondere bei jüngeren Arbeitnehmern.
Generell beschreibt Shared Leadership die Idee, die Führungs- und Managementaufgaben bzw. die Verantwortung einer Führungsposition auf mehrere Personen (auch rangniedrigere) zu verteilen, dauerhaft oder temporär. Die Begriffe dazu variieren und umfassen zwei generelle Ausprägungen:
Dual Leadership
(auch: Geteilte Führung, Tandem Leadership, Co-Leadership, Top Sharing): Eine Vollzeit-Führungsstelle wird von zwei Führungskräften in Teilzeit ausgeübt (geteilt).
Collective Leadership
(auch: Gemeinsame Führung, Kollaborative Führung, Community-led Leadership, Cooperative Leadership): Die Aufgaben einer (oder mehrerer) Vollzeit-Führungsstelle/n werden auf mehrere Teammitglieder (inkl. der Führungskräfte) verteilt.
Dual Leadership / Geteilte Führung
Bei „geteilter Führung“ werden die Verantwortung, Autorität und Entscheidungsbefugnis zu gleichen Teilen auf zwei Führungskräfte verteilt, die operativen Aufgaben werden häufig nach individueller Fähigkeit und Präferenz zugeordnet. Dadurch bieten sich viele Vorteile:
Vorteile für Führungskräfte:
- Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
- Gesteigerte Motivation der Führungskräfte (da einem jederzeit ein Sparringspartner zur Seite steht und aufgrund der Aufteilung der operativen Arbeit der Anteil an eher ungeliebten Aufgaben sinken kann).
- Bessere Prävention vor Überlastung/Stress.
Vorteile für Mitarbeiter bzw. Team-Mitglieder:
- Bindung talentierter Führungsnachwuchskräfte, die aufgrund ihrer individuellen Lebensplanung weniger arbeiten möchten, aber dennoch ihre Führungsfähigkeit einbringen oder behalten wollen.
- Mehrwert für die Team-Mitglieder, die auf mehr Kompetenz und Fähigkeiten zugreifen können.
Vorteile für die Organisation:
- Erleichterte Wissensverteilung sowie -sicherung im Unternehmen.
- Vorbildfunktion in Bezug auf „neue“ Führungskonzepte.
- Führung in Teilzeit als positives Merkmal der Arbeitgeber-Marke.
- Größere Zielgruppe oder „Pool“ für Führungskräfte (niedrigere Einstiegshürde).
Nachteile:
Nachteile entstehen vor allem durch den zeitaufwändigen „Matching“-Prozess der beiden Führungskräfte, den organisatorischen, prozessualen und systemseitigen Anpassungsbedarf im Unternehmen und den erhöhten Kommunikations- und Abstimmbedarf im Arbeitsalltag, auch auf Seiten des Teams.
Collective Leadership / Gemeinsame Führung
Gemeinsame Führung ist wie eine gemeinsame Party, bei der jeder mal das Sagen hat: Es geht um Zusammenarbeit, Vertrauen und darum, jedem Teammitglied eine Chance zu geben, sich zu beweisen.
Vorteile:
- Höhere Kreativität und Innovation im Team.
- Stärkeres Engagement der Mitarbeiter und höhere Mitarbeiterbindung.
- Förderung eines kollaborativen Arbeitsumfelds.
- Verteilung der Arbeitsbelastung.
- Schnellere Entscheidungen.
- Erleichterte Umsetzung neuer Arbeitszeitmodelle, Dezentralisierung und Führung auf Distanz.
Nachteile:
Demgegenüber stehen bei diesem teamorientierten Ansatz die Nachteile eines erhöhten Konfliktpotenzials und einer anspruchsvolleren und zeitintensiveren Kommunikation innerhalb des Teams.
»Leadership is not defined by the exercise of power but by the capacity to increase the sense of power among those led. The most essential work of the leader is to create more leaders.«
Collective Leadership gelingt nur, wenn alle Beteiligten „an Bord“ sind.
Die ehemals „rangniederen“ Team-Mitglieder müssen sich auf die größere Verantwortung einlassen und sich verstärkt an der Entscheidungsfindung beteiligen wollen.
Dabei helfen den (neuen) Führungskräften in der operativen Umsetzung drei Maßnahmen:
- Ein schrittweises Vorgehen (schrittweise Delegation).
- Intensive Unterstützung.
- Die Ermutigung zu eigenverantwortlichem Handeln.
Für die Organisation ist der elementare erste Schritt die Aufgabenverteilung. Um das praktisch zu bewältigen, gibt es bereits verschiedene, als Tabelle aufgebaute Abstufungen der Verantwortung zu den verschiedenen Aufgaben und Themen, die eine graduelle Umsetzung erleichtern bzw. als Fahrplan dienen können.
Fazit: Shared Leadership in der Praxis
Allgemein ist festzuhalten, dass die Vorteile in der Praxis durchaus gesehen werden, viele allerdings noch zweifeln, ob sich das in der eigenen Organisation, im eigenen Team umsetzen lässt. Einige Studien zur Dual Leadership weisen den Nutzen und die wachsende Akzeptanz nach, zur Umsetzungsquote von Collective Leadership liegt noch keine Auswertung vor.
Die geringe Durchsetzung liegt vor allem an zwei Faktoren: Zum einen ist noch nicht genug über das Konzept bekannt bzw. es kann nicht mit prominenten Unternehmen beworben werden. Zum anderen wird die Idee noch mit dem Etikett „Führungskonzept“ versehen und gerät angesichts der vielfältigen aktuellen Herausforderungen der Unternehmen auf der Prioritätenliste nach unten. Erfolgversprechender wäre eine Vermarktung unter „Lösung für den Führungskräftemangel“.
Ob „geteilt“ oder „gemeinsam“, das Ziel bleibt dasselbe: Ein kollaboratives, befähigtes und leistungsfähiges Team zu schaffen, das hervorragende Ergebnisse erzielt und im Idealfall neue Führungskräfte generiert. Letzteres wurde schon vor genau 100 Jahren (!) von Mary Parker Follett, einer US-amerikanischen Autorin zu Management-Theorien festgestellt:
Kernaussage
Shared Leadership ist ein moderner Ansatz, um dem Führungskräftemangel und der „Führungsmüdigkeit“ in Unternehmen zu begegnen. Modelle wie Dual Leadership, bei dem zwei Personen sich Führungsverantwortung teilen, oder Collective Leadership, bei dem Teams gemeinsam Entscheidungen treffen, fördern Zusammenarbeit und Flexibilität. Während Dual Leadership die Balance zwischen Beruf und Privatleben unterstützt, steigert Collective Leadership die Kreativität und das Engagement in Teams. Shared Leadership bietet vielversprechende Ansätze, um die aktuellen Herausforderungen der Arbeitswelt zu meistern.
Über die Autorin
Frauke Christiansen,
Diplom-Kauffrau, leitet die Beratungsfirma „Reinventing Organizations“, die auf Veränderungsprogramme, Führung, Restrukturierung und Post-Merger-Integration spezialisiert ist. Ihre berufliche Erfahrung umfasst Tätigkeiten als Fach- und Führungskraft in der Industrie sowie als Associate Partner in einer internationalen Managementberatung. Ergänzt wird ihr Profil durch Weiterbildungen zur zertifizierten Wirtschaftsmediatorin und umfassende internationale Coaching-Ausbildungen. frauke@christiansen.company
Disclaimer
Dieser Bericht informiert fachlich und neutral über Führung und Organisationsentwicklung. Die Inhalte basieren auf die Erfahrung der Autorin und sind nicht werblich. Erwähnte Unternehmen und Konzepte dienen ausschließlich der Veranschaulichung. Ziel ist es, konkrete Einblicke und Anregungen zu aktuellen Herausforderungen zu bieten.