Ein deutscher Interim Manager in den USA

Zwischen Kontinenten und Kulturen: Was deutsche Manager von den USA lernen können – und umgekehrt
© Bildagentur PantherMedia / peshkov

Von Michigan in die Businesswelt

Im Jahr 1978 begann Ulvi I. Aydin seine Reise in die amerikanische Kultur als Austauschschüler an der Coopersville High School in Michigan. Mit Neugier und Offenheit lernte er das Land der unbegrenzten Möglichkeiten kennen – eine Erfahrung, die ihn sein ganzes Leben lang prägen sollte. Heute, nach Jahrzehnten beruflicher Erfahrung als Interim Manager, Consultant und Beirat, kehrt Aydin regelmäßig in die USA zurück, um für internationale Unternehmen tätig zu sein. Seine beruflichen Mandate erlauben ihm, tief in die Arbeitskulturen beider Kontinente einzutauchen. Dabei sammelt er nicht nur Eindrücke, sondern baut auch Brücken zwischen den Welten. Seine Mission: Die besten Elemente aus beiden Kulturen zu erkennen und erfolgreich zu kombinieren.

Leben zwischen den Zeitzonen

Das Arbeiten in zwei Ländern mit unterschiedlichen Zeitzonen ist eine logistische Herausforderung, die Aydin mittlerweile zur Perfektion gemeistert hat. Mit 6 bis 9 Stunden Zeitunterschied muss er sowohl in den USA als auch in Europa präsent sein. „Mein Wecker klingelt oft um 2 oder 3 Uhr morgens für europäische Meetings. Danach gehe ich nicht wieder ins Bett, sondern nutze die Zeit produktiv – etwa im Fitnessraum, bis das Frühstücksbuffet öffnet,“ erzählt er.
Diese Anpassung erfordert Disziplin und einen klaren Tagesablauf. Auch die Rückkehr nach Europa stellt Herausforderungen: US-Meetings finden häufig spätabends statt, was die Arbeitstage verlängert. Doch für Aydin überwiegen die Vorteile: „Die Erfahrung, in zwei Zeitzonen zu arbeiten, erweitert meinen Horizont und schärft meine Fähigkeit, mich schnell auf unterschiedliche Gegebenheiten einzustellen.“

Mobilität und Flexibilität: Der amerikanische Vorteil

In den USA ist Mobilität nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch Teil des kulturellen Selbstverständnisses. „Es ist beeindruckend, wie flexibel Amerikaner sind – ein Umzug von Nevada nach Florida oder von Ohio nach Kalifornien wird nicht als Hindernis, sondern als Chance gesehen,“ beschreibt Aydin. Diese Bereitschaft, neue Herausforderungen anzunehmen und den eigenen Horizont zu erweitern, zeigt sich in allen Berufsgruppen, vom Arbeiter bis zum Manager.
In Deutschland hingegen dominiert ein anderes Bild. Hier legt man großen Wert auf Stabilität und langfristige Planung. Der Onboarding-Prozess für neue Mitarbeitende ist strukturiert und gründlich, um langfristige Bindungen zu fördern. In den USA wird von Mitarbeitenden dagegen erwartet, eigenständig zu handeln. „Es ist nicht unüblich, dass neue Mitarbeitende selbst einen 90-Tage-Plan erstellen, um ihre Ziele und Erwartungen zu definieren,“ erklärt Aydin.
Beide Ansätze haben ihre Vor- und Nachteile. Die amerikanische Flexibilität fördert schnelle Anpassungen, während die deutsche Gründlichkeit Stabilität und Orientierung schafft.

Kündigungsfristen: Freiheit vs. Fessel

Ein markanter Unterschied zwischen den beiden Kulturen liegt in den Kündigungsfristen. Während in den USA ein Jobwechsel oft innerhalb von zwei Wochen möglich ist, können Kündigungsfristen in Deutschland bis zu einem Jahr betragen.
Aydin erinnert sich an eine Situation, in der er sich beruflich verändern wollte, aber durch die lange Kündigungsfrist gebunden war. „Es fühlte sich an wie eine schwere Eisenkette,“ beschreibt er. Nach intensiven Gesprächen mit dem Vorstand und dem Aufsichtsrat konnte er schließlich vorzeitig aus dem Vertrag aussteigen. Seine Erkenntnis: „Freigeister lassen sich nicht einsperren. Bindet man sie zu lange, verlieren sie ihren Schwung und ihre Kreativität.“

Kommunikation: Klarheit statt Komplexität

Ein weiteres universelles Thema ist die Kommunikation. Amerikaner schätzen Direktheit und Effizienz. „Auf den Punkt kommen!“ ist eine Grundregel, die jedoch nicht immer eingehalten wird. „Es passiert auch in den USA, dass Unklarheiten in langen Schachtelsätzen verpackt werden,“ bemerkt Aydin.
Sein Ansatz: „KISS“ – Keep It Small and Simple. „Gute Manager können komplexe Sachverhalte in wenigen Sätzen verständlich machen. Wer das nicht schafft, hat es selbst nicht verstanden.“ In seinen Mandaten fordert Aydin von seinen Teams, lange Präsentationen zu entschlacken und auf das Wesentliche zu reduzieren. „Aus 180 Seiten werden 10, aus 12.000 Wörtern werden 2.000. Die Verständlichkeit steigt, und damit auch die Akzeptanz.“ Klarheit und Präzision sind universelle Erfolgsfaktoren, unabhängig vom Kulturkreis.

Freundlichkeit im Alltag: Ein unterschätzter Wert

„Howdy“ oder „How are you doing?“ – die alltägliche Freundlichkeit in den USA ist ein kultureller Unterschied, den Aydin immer wieder bemerkt. „Diese kleinen Gesten schaffen eine positive Atmosphäre und fördern zwischenmenschliche Beziehungen,“ sagt er. In Deutschland ist diese Form der Höflichkeit oft weniger präsent – ein Aspekt, der zum Nachdenken anregt.

Was Deutschland von den USA lernen kann – und umgekehrt

Die Arbeit in den USA bietet Aydin die Möglichkeit, die Stärken beider Kulturen zu erkennen. Amerikanische Unternehmen beeindrucken durch ihren Pragmatismus, ihre Risikobereitschaft und ihre Flexibilität. Europäische Unternehmen punkten dagegen mit Gründlichkeit, Struktur und langfristigem Denken.
„Die Herausforderung besteht darin, diese Stärken miteinander zu kombinieren,“ erklärt Aydin. „Amerikanischer Pragmatismus gepaart mit europäischer Präzision schafft innovative und nachhaltige Lösungen, die den Anforderungen einer globalisierten Welt gerecht werden.“

Fazit: Der Balanceakt zwischen zwei Welten

Die Arbeit zwischen den Kulturen ist anspruchsvoll, aber sie bietet enorme Chancen. Wer die Unterschiede versteht und die Stärken beider Welten vereint, kann nicht nur erfolgreich Brücken bauen, sondern auch neue Wege in der internationalen Geschäftswelt gehen.
Aydins Botschaft ist klar: Flexibilität und Eigenverantwortung, gepaart mit Präzision und Struktur, sind der Schlüssel, um in einer globalisierten Welt erfolgreich zu sein. „Die Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa zeigt, wie bereichernd es sein kann, voneinander zu lernen und die Vielfalt beider Kulturen zu nutzen.“
Das Arbeiten in zwei Zeitzonen, mit unterschiedlichen Erwartungen und Herausforderungen, ist mehr als nur eine organisatorische Leistung – es ist eine echte Bereicherung für alle Beteiligten.

Über den Autor

Ulvi I. Aydin
Dipl. Betr. Oekonom
ulvi.aydin@aycon.biz

 

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