Deutschlands Schattenwirtschaft 2024: Überraschende Einblicke
Neue Berechnungen zur Schattenwirtschaft in Deutschland liefern im Jahr 2024 unerwartete Ergebnisse. Prof. Dr. Friedrich Schneider vom Research Institute of Banking and Finance der Johannes Kepler University Linz beleuchtet aktuelle Entwicklungen und gibt Einblicke in die Hintergründe dieses wirtschaftlichen Phänomens.
Ein unerwartet starker Anstieg
1. Die neueste Entwicklung
Nachdem sich im Herbst 2024 Deutschland im zweiten Jahr einer Rezession (Rückgang des BIP zwischen 0,2 und 0,3 Prozent) befindet, wird die Schattenwirtschaft im Jahr 2024 um 55 Milliarden Euro auf 498 Mrd. Euro steigen. Im Verhältnis zum BIP nimmt die Schattenwirtschaft auf 11,3 Prozent zu. Der wichtigste Grund für diese Zunahme ist die schwache Entwicklung des offiziellen Bruttoinlandsprodukts und die steigende Arbeitslosigkeit auf 6,1 %.
Dies sind die wichtigsten Ergebnisse einer neuen Prognose der Schattenwirtschaft in Deutschland, die von Professor Friedrich Schneider (Universität Linz) im Oktober 2024 neu berechnet wurden. Für das Jahr 2024 wird somit ein Umfang der Schattenwirtschaft von nominal 498 Mrd. Euro prognostiziert (eine Zunahme von 12,4 Prozent gegenüber 2023).
Das Verhältnis der prognostizierten Schattenwirtschaft zum Bruttoinlandsprodukt nimmt auf 12,3 Prozent zu (siehe Tabelle 1). Damit hat die Schattenwirtschaft im Jahr 2024 sogar den hohen Wert von 2013 übertroffen.
Der Prognose für 2024 liegt eine angenommene negative Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts von 0,3 Prozent und eine Arbeitslosenzahl von 2,6 Mio. zugrunde.
2. Uneinheitlicher Einfluss des Bürgergeldes auf die Schattenwirtschaft
Die Erhöhung der Regelsätze des Bürgergeldes um ca. 12 Prozent zum 1. Januar 2024 hat zwei Einflüsse auf die Schattenwirtschaft:
- Der Einkommenseffekt: Ein geringerer Anteil der Bürgergeld-Beziehenden engagiert sich in der Schattenwirtschaft, da die gestiegenen Transfersätze die Haushalte finanziell entlasten. Dadurch sinkt die Abhängigkeit von Schattenwirtschafts-Einkommen.
- Der Substitutionseffekt: Die Anzahl der Haushalte, die Bürgergeld beziehen, steigt, da der Anreiz, durch legale Erwerbstätigkeit den Bezug zu beenden, durch das höhere Bürgergeld geringer wird.
Auf Basis dieser Analyse wird von einer Erhöhung der Bürgergeldbezieher um 88.000 Personen ausgegangen. Die beiden Effekte führen insgesamt zu einem geringen Rückgang der Schattenwirtschaft um 800 Mio. Euro
Ein zusätzlicher Faktor ist die Rückkehr zum vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent im Bereich der Gastwirtschaft, die einen zusätzlichen Anreiz schafft, Umsätze nicht anzugeben. Dieser Effekt führt zu einem Anstieg der Schattenwirtschaft um 1,9 Mrd. Euro.

Zusammenfassung der neuesten Zahlen
Die neuesten Zahlen zur Schattenwirtschaft in Deutschland, basierend auf Analysen von Prof. Dr. Friedrich Schneider, verzeichnen für das Jahr 2024 eine beunruhigende Entwicklung.
- Die Schattenwirtschaft erreichte ein Volumen von 498 Milliarden Euro, was 12,3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht.
- Dies stellt einen Anstieg von 12,4 % gegenüber dem Vorjahr dar und übertrifft den bisherigen Höchstwert aus dem Jahr 2013.
Die Hauptursachen für diesen Anstieg sind:
- Die anhaltende Rezession,
- Die steigende Arbeitslosenquote (6,1 %).
Diese Faktoren treiben viele Menschen in informelle Arbeitsverhältnisse, um Einkommensverluste zu kompensieren. Ein Anstieg dieser Art birgt sowohl direkte als auch indirekte Risiken für die deutsche Wirtschaft und das soziale Sicherungssystem.
Bedeutung für die deutsche Wirtschaft
Die Ausweitung der Schattenwirtschaft hat weitreichende negative Folgen für die Wirtschaft und das soziale Sicherungssystem in Deutschland.
- Der vermehrte Wechsel von Arbeitskräften und Umsätzen in den informellen Sektor führt zu einem erheblichen Verlust an Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträgen. Diese sind entscheidend für die Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen wie Bildung, Infrastruktur und Gesundheitswesen.
- Der reguläre Arbeitsmarkt gerät zusätzlich unter Druck, da Unternehmen im informellen Sektor geringere Betriebskosten haben und dadurch einen unfairen Wettbewerbsvorteil erhalten.
Diese Entwicklung könnte langfristig die Stabilität des deutschen Wirtschaftsmodells untergraben.
Positive Aspekte der Schattenwirtschaft
Der Anstieg der Schattenwirtschaft hat jedoch auch positive Auswirkungen für einen großen Teil der deutschen Wirtschaft und der „schwarz“ Arbeitenden:
- Es entsteht eine zusätzliche Wertschöpfung in Höhe von circa 250 Mrd. €, die es ohne die Schattenwirtschaft nicht gegeben hätte. Das gesamte Bruttoinlandsprodukt (schwarzes und offizielles BIP) ist um diesen Betrag höher.
- Zudem wird das zusätzlich „schwarz“ verdiente Geld zu mindestens 75 % sofort wieder ausgegeben, insbesondere von den unteren Einkommensschichten, die es für ihren Lebensunterhalt benötigen.
- Dies verhindert ein Abrutschen in die Armut.
- Die Steuerverluste werden gemindert, da diese Einkäufe der normalen Besteuerung (z. B. Mehrwertsteuer) unterliegen.
Die Schattenwirtschaft kann somit auch als Stabilisator für eine noch größere Rezession gesehen werden.
Vergleich zur historischen Entwicklung der Schattenwirtschaft
Die Daten zeigen, dass der Anteil der Schattenwirtschaft in den letzten zehn Jahren relativ stabil zwischen 9 und 11 % des BIP lag und teilweise sogar eine rückläufige Tendenz aufwies.
- 2019: Mit einem Anteil von 9,3 % des BIP wurde ein Tiefstand erreicht.
- 2020 (Corona-Pandemie): Die Pandemie führte zu einer Zunahme der Schattenwirtschaft, da viele Menschen und Unternehmen aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheiten in den informellen Sektor wechselten, um finanzielle Einbußen auszugleichen.
- 2021–2023: Die Entwicklung setzte sich moderat fort.
- 2024: Der sprunghafte Anstieg von 12,4 % ist außergewöhnlich. Er wird teilweise auf die hohe Inflation zurückgeführt und markiert eine Abkehr vom bisherigen Trend.
Vergleich zur Situation in Europa
Ein europäischer Vergleich zeigt, dass Deutschland mit 12,3 % Schattenwirtschaft im Jahr 2024 noch unter dem EU-Durchschnitt von ca. 15–20 % liegt.
- Südeuropa (z. B. Griechenland, Italien): Die Schattenwirtschaft ist traditionell höher und kann bis zu 25 % des BIP ausmachen. Dies liegt an wirtschaftlicher Unsicherheit und hoher Arbeitslosigkeit, die die informelle Wirtschaft als Überlebensstrategie attraktiver machen.
- Skandinavische Länder (z. B. Dänemark, Schweden, Norwegen): Die Schattenwirtschaft liegt bei 7–9 % des BIP, deutlich unter dem europäischen Durchschnitt.
- Diese Unterschiede sind auf stabilere soziale Sicherungssysteme, effektivere Steuersysteme und strengere Kontrollen zurückzuführen.
- Dadurch wird die Notwendigkeit zur Steuervermeidung und informellen Beschäftigung reduziert.
Ursachen des aktuellen Anstiegs der Schattenwirtschaft
Die Hauptursachen für den aktuellen Anstieg der Schattenwirtschaft in Deutschland sind:
-
Rezession und ökonomische Unsicherheit:
Die anhaltende Rezession und der Rückgang des offiziellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) erhöhen die Attraktivität der informellen Wirtschaft, da viele Menschen Einkommensalternativen suchen. -
Erhöhung des Bürgergelds und Mehrwertsteueranpassungen:
Die Erhöhung des Bürgergelds hat die Abhängigkeit von Schattenwirtschaftseinkommen zwar verringert. Allerdings begünstigt die Mehrwertsteuererhöhung in der Gastronomie informelle Geschäftsaktivitäten in diesem Sektor. -
Steigende Arbeitslosigkeit:
Mit der steigenden Arbeitslosigkeit wächst die Notwendigkeit, alternative Einkommensquellen zu erschließen. Dies treibt viele Menschen in den informellen Sektor.
Gegenmaßnahmen und Ansätze zur Stabilisierung
Um den Anstieg der Schattenwirtschaft zu bremsen, könnte sich Deutschland an erfolgreichen Modellen anderer europäischer Länder orientieren:
1. Förderung von Arbeitsmarktintegrationsprogrammen
- Verstärkte Programme zur Arbeitsmarktintegration und Weiterbildung, wie sie in skandinavischen Ländern etabliert sind, könnten die Abwanderung in den informellen Sektor verringern.
2. Anpassung des Steuer- und Abgabensystems
- Ein vereinfachtes Steuersystem und Anreize für legale Beschäftigung, wie Steuererleichterungen für Kleinunternehmen und niedrigere Sozialbeiträge für Selbstständige, könnten die Attraktivität der Schattenwirtschaft reduzieren.
3. Erhöhung der Kontrollen und Prävention von Steuerhinterziehung
- Strengere Kontrollen und die Förderung digitaler Zahlungsmodelle könnten die Transparenz im Geschäftsumfeld erhöhen und informelle Geschäfte zurückdrängen.
4. Aufklärung über Sozialversicherungsleistungen
- Programme zur Sensibilisierung für die Vorteile sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung könnten:
- Das Bewusstsein für die Risiken der Schattenwirtschaft schärfen.
- Die langfristigen Vorteile formeller Arbeitsverhältnisse verdeutlichen.
5. Innovationsförderung und Stärkung der KMUs
- Eine gezielte Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) könnte formelle Arbeitsplätze schaffen und den Druck auf den informellen Sektor senken.
Kernaussage
Die aktuellen Zahlen zur Schattenwirtschaft in Deutschland zeigen eine alarmierende Entwicklung, die den bisherigen stabilen Trend unterbricht.
- Der wirtschaftliche Druck durch die Rezession und steigende Arbeitslosigkeit hat den Anstieg informeller Tätigkeiten gefördert, was die Stabilität des deutschen Wirtschaftsmodells bedroht.
- Gleichzeitig hat die Schattenwirtschaft dazu beigetragen, eine noch größere Rezession zu verhindern.
Ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern zeigt, dass die Schattenwirtschaft mit den richtigen wirtschafts- und steuerpolitischen Maßnahmen effektiv eingedämmt werden kann. Die Einführung von:
- Arbeitsmarktintegrationsprogrammen,
- einem vereinfachten Steuersystem sowie
- gezielten Kontrollen
…könnte helfen, den Anteil der Schattenwirtschaft wieder zu senken und die wirtschaftliche Stabilität Deutschlands langfristig zu sichern.
Autor

Prof. Dr. Friedrich Schneider
- E-Mail: friedrich.schneider@jku.at
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